Kokerei Tertre (2002)
Nachdem ich im frühen Sommer des vergangenen Jahres die Zeche Hasard Cheratte besucht hatte, wurde mir erst klar, das ich Belgiens Industrienachlass unterschätzt hatte. Ein zweiter Besuch sollte nicht lange dauern! Im Januar des Folgejahres mache ich mich auf zur Kokerei Tertre, bei Mons im wallonischen Hennegau. Die großflächige Kokereianlage liegt - zu meiner Überraschung - erst seit 1997 still. Der marode Gesamtzustand lässt demnach vermuten, dass die Kokerei heruntergewirtschaftet wurde. Wohl im Wissen, dass es zu Ende ging. Das Objekt wurde schätzungsweise 1922 erbaut. Die für damalige Verhältnisse moderne Anlage war für die Kohleproduktion der südlich gelegenen Region Borinage gedacht. Ähnlich wie die Kokerei Zollverein in Essen war es eine Zentralkokerei für die umliegenden Zechen. Die Kokerei ist bis auf einige demontierte Gleise fast komplett erhalten, wenn auch im bereits erwähnten ruinösen Zustand. Die östliche Ofenbatterie scheint schon sehr viel länger außer Betrieb zu sein, wie die übrig gebliebene westliche Anlage. Die Architektur ist bereits funktionell. 1989 arbeiteten hier fast 900 Menschen, jetzt fegt hier nur noch ein kalter Wind durch die leeren, rostigen Öfen.
Bemerkenswert sind die groß ausgelegten und in ungewöhnlicher Höhe befindlichen Gurtförderanlagen, die die Kokerei umspannen. Sehr groß gehalten auch der Rohkohlenbunker, mitsamt Becherwerk. Wie sooft verstreut liegende Akten im Verwaltungsgebäude. Die moderne EDV hat auch hier bereits einen Mittelpunkt gehabt: Ein demontierter Serverraum mitsamt Klimaanlage: Diverse Modeme, Tastaturen und Beigeräte lagen herum. Das Wetter war hervorragend! Die Kälte war schnell vergessen, denn die Anlage war wirklich sehr beeindruckend. Ein Highlight der Kokerei ist sicherlich das gut erhaltene Qualitätslabor, das ich in dieser Form bisher nirgendwo angetroffen hatte. Als gegen 16 Uhr die Sonne unterging, gab es noch reichliche fotografische Motive.
Update: Zusammen mit Uwe besuche ich im Dezember 2002 die Kokerei von Tertre erneut. Es hat sich wenig getan: Neben einigem Vandalismus hat man auf der weißen Seite begonnen, einigen Boden abzutragen - eher zaghaft... Das Wetter war ganz im Gegensatz zum ersten Besuch sehr dunkel und nebelig - ideal für S/W-Aufnahmen.
Die Kokerei Tertre ist inzwischen Geschichte, auf dem Gelände erinnert nichts mehr daran, dass hier einmal eine Kokerei gestanden hat. Der benachbarte chemische Betrieb ist nach wie vor aktiv.
Analoge Aufnahmen aus 2002.