
Der Märchenwald (2009)
Ich hätte ein Buschmesser mitbringen sollen. Und einen Skylightfilter. Vielleicht sogar einen Exorzisten, so wie das hier aussieht. Was einst ein Ort für Kinderlachen und Familienausflüge war, ist heute kaum noch zu erkennen. Der Weg dorthin? Ein einziges grünes Chaos. Die Natur hat längst übernommen.
Umgestürzte Bäume, Moosteppiche, stachelige Brombeerstränge – und irgendwo dazwischen: ein vergessener Märchenwald. Versteckt. Verschluckt. Der Orkan Kyrill hat hier nicht nur Holz gefällt, sondern eine ganze Welt zum Stillstand gebracht. Nach dem Sturm wurde der Park geschlossen – für immer.
Und doch zieht er mich in seinen Bann, wie ein Sog aus Kindheit und Verfall. Ich betrete ein Gelände, das aussieht, als hätte man ein Bilderbuch zerrissen und die Seiten in den Wald geweht. Verblasste Tafeln, verrottete Brücken, vermooste Häuschen mit schiefen Türen. Und dazwischen: die Puppen.
Sie sind das Herz dieses Ortes – und sein unheimlichster Teil. Wo sie einst freundlich Grimmsche Geschichten nachstellten, wirken sie heute wie Zeugen eines düsteren Paralleluniversums. Die Farben sind verschwunden, die Gesichter verwischt, ihre Augen leer oder gar nicht mehr vorhanden. Arme fehlen, Kleider sind zerfetzt, und manche liegen schief im Gebüsch, als wären sie gefallen und nie wieder aufgestanden.
Was mich am meisten trifft, ist der Kontrast. Dieser Park wurde geschaffen, um das Wunderbare zu zeigen – um Kinderträume lebendig zu machen. Jetzt wirkt er wie eine Kulisse aus einem Horrorfilm. Die Stille hier ist dick wie Nebel, nur unterbrochen vom Rascheln meines Schritts durchs Laub. Und vom Wind, der mit den Figuren zu spielen scheint.
Und doch: Zwischen all dem Zerfall liegt etwas Echtes. Eine Stimmung, die weder künstlich noch kitschig ist. Ein Ort, an dem Geschichten immer noch wohnen – nur eben andere. Dunklere. Erwachsenere.
Vielleicht liegt genau darin der Reiz: In der Umkehr. Ein Ort, der für das Gute stand, zeigt nun sein Gegenteil. Kein lautes Spektakel, sondern stilles Unbehagen. Kein Kinderlachen, sondern das Flüstern der Erinnerung.
Ich mache Fotos. Viele. Und frage mich, was wohl passieren würde, wenn es heute Nacht zu regnen beginnt – und ich noch hier bin. Würde Dornröschen mich retten? Oder eine Puppe ihre Augen wieder öffnen?
Zeitungsbericht über eine Rettung des Märchenwaldes.



























































