Stacks Image 24

Der Märchenwald (2009)


Ich hätte ein Buschmesser mitbringen sollen. Und einen Skylightfilter. Vielleicht sogar einen Exorzisten, so wie das hier aussieht. Was einst ein Ort für Kinderlachen und Familienausflüge war, ist heute kaum noch zu erkennen. Der Weg dorthin? Ein einziges grünes Chaos. Die Natur hat längst übernommen.

Umgestürzte Bäume, Moosteppiche, stachelige Brombeerstränge – und irgendwo dazwischen: ein vergessener Märchenwald. Versteckt. Verschluckt. Der Orkan Kyrill hat hier nicht nur Holz gefällt, sondern eine ganze Welt zum Stillstand gebracht. Nach dem Sturm wurde der Park geschlossen – für immer.

Und doch zieht er mich in seinen Bann, wie ein Sog aus Kindheit und Verfall. Ich betrete ein Gelände, das aussieht, als hätte man ein Bilderbuch zerrissen und die Seiten in den Wald geweht. Verblasste Tafeln, verrottete Brücken, vermooste Häuschen mit schiefen Türen. Und dazwischen: die Puppen.

Sie sind das Herz dieses Ortes – und sein unheimlichster Teil. Wo sie einst freundlich Grimmsche Geschichten nachstellten, wirken sie heute wie Zeugen eines düsteren Paralleluniversums. Die Farben sind verschwunden, die Gesichter verwischt, ihre Augen leer oder gar nicht mehr vorhanden. Arme fehlen, Kleider sind zerfetzt, und manche liegen schief im Gebüsch, als wären sie gefallen und nie wieder aufgestanden.

Was mich am meisten trifft, ist der Kontrast. Dieser Park wurde geschaffen, um das Wunderbare zu zeigen – um Kinderträume lebendig zu machen. Jetzt wirkt er wie eine Kulisse aus einem Horrorfilm. Die Stille hier ist dick wie Nebel, nur unterbrochen vom Rascheln meines Schritts durchs Laub. Und vom Wind, der mit den Figuren zu spielen scheint.

Und doch: Zwischen all dem Zerfall liegt etwas Echtes. Eine Stimmung, die weder künstlich noch kitschig ist. Ein Ort, an dem Geschichten immer noch wohnen – nur eben andere. Dunklere. Erwachsenere.

Vielleicht liegt genau darin der Reiz: In der Umkehr. Ein Ort, der für das Gute stand, zeigt nun sein Gegenteil. Kein lautes Spektakel, sondern stilles Unbehagen. Kein Kinderlachen, sondern das Flüstern der Erinnerung.

Ich mache Fotos. Viele. Und frage mich, was wohl passieren würde, wenn es heute Nacht zu regnen beginnt – und ich noch hier bin. Würde Dornröschen mich retten? Oder eine Puppe ihre Augen wieder öffnen?

Zeitungsbericht über eine
Rettung des Märchenwaldes.


Stacks Image 13290
Stacks Image 13292
Stacks Image 13294
Stacks Image 13296
Stacks Image 13298
Stacks Image 13300
Stacks Image 13302
Stacks Image 13304
Stacks Image 13306
Stacks Image 13308
Stacks Image 13310
Stacks Image 13312
Stacks Image 13314
Stacks Image 13316
Stacks Image 13318
Stacks Image 13320
Stacks Image 13322
Stacks Image 13324
Stacks Image 13326
Stacks Image 13328
Stacks Image 13330
Stacks Image 13332
Stacks Image 13334
Stacks Image 13336
Stacks Image 13338
Stacks Image 13340
Stacks Image 13342
Stacks Image 13348
Stacks Image 13350
Stacks Image 13352